Wut, Waffen und Wunder

  16 April 2018    Gelesen: 1239
Wut, Waffen und Wunder

Ein Jahr nach der Wahl zieht der französische Staatschef Macron eine erste Bilanz im dreistündigen TV-Interview. Er verteidigt den Militärschlag gegen Syrien, will bei den Streiks bei der Bahn nicht nachgeben - und wirkt ernüchert.

Zwei Interviews in vier Tagen: Erst volksnah in einem Klassenzimmer, jetzt ein staatsmännischer Auftritt im Theater Chaillot, dem Prachtbau gegenüber vom Eiffelturm. Der Präsident schreitet Hand in Hand mit Ehefrau Brigitte Macron die Stufen zu dem imposanten Bau hinunter. Ein Aufritt wie auf einer Bühne.

Macron versteht sich auf Symbole. Als frisch gewählter Präsident hatte er zu Fuß den Hof des Louvre durchquert, zum Amtsantritt war er in einem Kommandowagen der Armee die Champs-Élysées entlang gefahren. Nach dem jüngsten Terroranschlag in Südfrankreich hatte den als mitfühlenden "Vater der Nation" gegeben, mit dem Schlag gegen Syrien zeigte er sich als Oberkommandierender der Streitkräfte.

Bei seinem jüngsten TV-Auftritt versuchte der Präsident nun die Franzosen ein Jahr nach seinem Amtsantritt von seiner Bilanz zu überzeugen - und auf weitere einschneidende Reformen einzustimmen. Dabei spricht Macron nicht mehr vom "völligen Umbau" der Nation wie noch zu seinem Amtsantritt, sondern lieber von einer unumgänglichen "Reorganisation".

Die Inszenierung ist majestätisch, Macron wirkt präsidiabel. Am polierten Lacktisch unter den Lüstern des Theaters, wo einst die Menschenrechtskonvention unterschrieben wurde, sitzen dem Staatschef zwei Journalisten vom Nachrichtensender BFM-TV und vom Internetportal Mediapart gegenüber.

Mit ihnen spricht Macron über soziale Unruhen, Streiks, Sicherheit, Terrorgefahr, Immigration und Frankreichs Platz in der Welt. Der thematische Rundumschlag wird dabei oft zum kontroversen Schlagabtausch. Die wichtigsten Themen des etwa dreistündigen Debattenmarathons im Überblick:

Syrienkrieg: Die Teilnahme an der US-Militäraktion "Hamilton" verteidigte Macron als "im internationalen Rahmen legitim". Die Operation gegen die Kampfstoffproduktion sei erfolgreich gewesen: "Die Produktion der Chemiewaffen wurde zerstört." Der Militärschlag sei, so Macron, "die Voraussetzung für eine diplomatische Lösung" - zusammen mit Russland und Iran.
Vermögenssteuer: Die Abschaffung der Vermögenssteuer sei "kein Geschenk", sagte Macron. "Ohne Investitionen gibt es keine Arbeitsplätze. Schauen Sie sich um, die Wirtschaft zieht an, Menschen werden eingestellt." Und weiter: "Wir brauchen Wachstum, damit es mehr soziale Gerechtigkeit gibt."
Streiks bei Bahn oder Krankenhauspersonal: "Ich respektiere die Wut der Beschäftigten, aber nichts wird meine Entschlossenheit ändern", sagte Macron. "Wir haben Ungerechtigkeiten in unserem Land. Der Tyrannei der Minderheiten darf man sich nicht unterwerfen."
Die Misere von Krankenhäusern und Altenheimen: "Wir brauchen eine Neuorganisation der Krankenhäuser", sagte Macron. Außerdem brauchten Frankreichs Hospitäler "mehr Investitionen, weniger Bürokratie und zusätzliches Personal, damit die medizinischen Bedürfnisse erfüllt werden."
Steigende Altersarmut: Es sei eine Herausforderung der Demografie, so Macron: "Wir brauchen eine Neuordnung der Renten, transparent und gerecht, ohne Privilegien." Er wolle bis 2019 dafür die gesetzlichen Grundlagen schaffen.
Streik an Universitäten: "Bei den meisten der Protestler handelt es sich um professionelle Aufständische - die Studenten sind in der Minderheit", sagte der Präsident. Die Polizeieinsätze seien völlig gerechtfertigt.Wird das Asylrecht untergraben? "Wir sehen uns einer Migration von nie dagewesenem Ausmaß gegenüber. Dieses Phänomen aufgrund von Armut, Bevölkerungswachstum und Klimawandel andauern." Das Asylrecht bleibe unangetastet, sagte er. Diese Entscheidung bleibe jedoch auf sechs Monate beschränkt.
Während des Interviews reagiert der Staatschef bisweilen dünnhäutig: "Sie sind der Fragesteller, ich der Präsident", sagt er etwa. Macrons Credo bleibt ein Bekenntnis zu einem Pragmatismus: "Es gibt seit Langem in Frankreich eine Wut über die Ungerechtigkeiten bei Erziehung, Gesundheit oder Arbeit. Deshalb brauchen wir Veränderungen - aber es wird sicherlich keine Wunder geben."

spiegel


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